Vor einigen Tagen habe ich zum schätzungsweise tausendsten Mal LucasArts‘ Klassiker Day of the Tentacle aus dem Jahr 1991 durchgespielt. Wer das Spiel (sträflicherweise) nicht kennen sollte oder schon wieder vergessen hat: In diesem im Stil eines verrückten Sonntagmorgen-Cartoons inszenierten Point-and-Click-Adventure von Tim Schafer und Dave Grossman steuert man drei Jugendliche durch ein riesiges Familienanwesen um ein mutiertes Tentakel an der Übernahme der Weltherrschaft zu hindern.
Dabei bewegen sich alle drei zwar durch das gleiche Haus, aber – durch einen Unfall mit einer Zeitmaschine, man kennt das ja – in drei unterschiedlichen Zeiten: Über-Nerd Bernard in der Gegenwart, Metal-Roadie Hoagie 200 Jahre in der Vergangenheit und Medizinstudentin Laverne 200 Jahre in der Zukunft. Um schließlich doch noch ans Ziel zu gelangen, muss man sich als Spieler kräftig der Macht der Zeit-Paradoxa bedienen.
Natürlich kann ich die Rätsel mittlerweile im Schlaf lösen und den Großteil der Dialoge mitsprechen, aber trotzdem: Umso öfter ich dieses Spiel spiele, desto mehr weiß ich es zu schätzen. Ich wage zu behaupten, dass es sich – wenn ich mich entscheiden müsste – um das beste Point-and-Click-Adventure der Videospielgeschichte handelt.
Ich will damit nicht sagen, dass es sämtliche anderen Genrevertreter in allen Bereichen übertrifft. Die Monkey Island-Reihe und Sam and Max: Hit the Road haben den weit größeren Wortwitz, und sowohl Maniac Mansion als auch die Indiana Jones-Adventures bieten einen höheren Wiederspielwert. Aber: Das zentrale Gameplay-Element eines Adventures sind die Rätsel, und dieser Hinsicht kann Day of the Tentacle kaum jemand das Wasser reichen.
Das Rästeldesing wirkt in seiner Straffheit, Strenge und Eleganz eher japanisch als westlich inspiriert. Es gibt einen einzigen, fest vorgegebenen Weg durch das Spiel, aber stets eine Vielzahl an möglichen Anknüpfungspunkten, so dass man sich als Spieler nie frustriert oder eingeengt fühlt. Konkret: Es gibt zu jedem Rätsel genau eine Lösung, aber die Reihenfolge, in der die Rätsel gelöst werden können, ist dem Spieler über weite Strecken selbst überlassen. Dabei wird es nie unübersichtlich, da sich ja im Grunde alles in einem Haus abspielt (das noch dazu sehr kompakt aufgebaut ist). Und vor allem: Die Rästel machen Spaß. Keines von ihnen ist einfach nur ein Hindernis; sie sind durchgehend inspiriert, kreativ und originell, erzählen oft ihre eigenen Geschichten oder sind schlicht Gags für sich. Was beispielsweise das Design der US-Flagge mit der Erlangung eines Tentakelkostüms zu tun hat, muss man einfach selbst erlebt haben.
Gleichzeitig hat das Spiel eine sehr kontrollierte Struktur: Es beginnt recht simpel und auf beschränktem Raum, bis es sich Stück für Stück mehr und mehr öffnet und so stets motivierend bleibt. Auf dem Höhepunkt seiner Offenheit bekommt der Spieler wiederum für jeden der drei Charaktere ein konkretes Ziel vorgesetzt, aus dem sich jeweils ein letztes großes, mehrteiliges Rätsel ergibt, bevor alle Stränge zusammenlaufen und ein kurzes, fokussiertes Finale folgt. Das hat sich nicht zufällig ergeben; es ist die Arbeit von Leuten, die genau gewusst haben, was sie tun. Würde man die Rätselstruktur des Spiels mittels Diagramm auf einer großen Tafel aufzeichnen (was Schafer und Grossman im Zuge der Erstellung des Design Documents gewiss getan haben), man hätte ein perfekt durchkomponiertes Kunstwerk vor sich.
Natürlich kann man Day of The Tentacle noch in vielen anderen Bereichen loben. Grafik, Animationen und Musik sind etwa herausragend. Aber seine größte Stärke, durch die das Spiel heute noch genau so viel Spaß macht wie vor 18 Jahren, liegt im phänomenalen Rätseldesign. Jeder, der heute ein Adventure schreiben möchte, sollte sich erst einmal hinsetzten und dieses Spiel gründlich studieren.
[Andreas Dobersberger]
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