Vorletzten Samstag ist Dragon Quest IX in Japan erschienen und wurde bereits in den ersten zwei Tagen über zwei Millionen Mal verkauft. Das ist natürlich eine spektakuläre Zahl, aber auch nicht wirklich überraschend. Dragon Quest ist die mit Abstand bekannteste und beliebteste Videospielserie überhaupt in Japan, und noch dazu ist der neueste Teil auf dem Nintendo DS erschienen, der gerade auch dort extrem verbreitet ist. Und auch die Kritiker scheinen begeistert: In der Famitsu wurde Dragon Quest IX mit 40/40 die Höchstwertung verliehen, die in der über zwanzigjährigen Geschichte des Magazins gerade einmal zehn Spiele erreicht haben.
Im Westen ist die Dragon Quest-Serie im Vergleich dazu fast soetwas wie ein Nischenprodukt; an den Erfolg von Final Fantasy konnte Dragon Quest hier nie anschließen. Viele Spieler lehnen es gar ab, und dabei hört man oft ähnliche Argumente: Die Serie hätte sich seit dem ersten Teil nicht weiterentwickelt, jedes Spiel sei gleich; das Spiel sei höllisch schwer, und das Gameplay basiere auf stundenlangem Level-Grinding; Story und Szenario seien kaum vorhanden, und zudem langweilig und unoriginell.
Zum Thema „nicht weiterentwickelt, jedes Spiel sei gleich“: Es stimmt, dass es wohl kaum eine Videospielserie gibt, in der Tradition so wichtig und so fest verankert ist. Auch im Dragon Quest IX tauchen Musik und Soundeffekte aus dem ersten Teil wieder auf, und natürlich auch die ikonischen Slimes als Anfangs-Gegner. Als sich das Spiel noch in Entwicklung befand und Square Enix ankündigte, man habe vor, von den traditionellen rundenbasierten Kämpfen auf ein actionbasiertes Echtzeitkampfsystem (im Stil von Secret of Mana) zu wechseln, gab es einen nationalen Aufschrei in Japan, und die Entwickler wechselten wieder auf das alte System zurück.
Der Erfolg von Dragon Quest hat nun einmal viel mit Tradition und Nostalgie zu tun. Wie wichtig Traditionen in der japanischen Gesellschaft sind, brauche ich wohl niemandem erzählen, der sich auch nur halbwegs einmal mit dem Land beschäftigt hat. Dragon Quest ist eine verlässliche Konstante in einer sich scheinbar ständig abwärts bewegenden Welt – und ein Flashback in die 80er-Jahre, eine Zeit in der die japanische Wirtschaftkraft unbesiegbar schien, und in der man vielleicht sogar vor dem Famicom saß und seine ersten Erfahrungen mit Videospielen sammelte.
Außerdem finden sich sehr wohl neue und interessante Ideen in jedem der Spiele, sei es die innovative Kapitelstruktur in Dragon Quest IV, die Fähigkeit Monster zu zähmen in Dragon Quest V oder etwa die Multiplayerkomponente in Dragon Quest IX.
Was Schwierigkeitsgrad und Grinding betrifft: Falsch. Dragon Quest ist viel benutzerfreundlicher und um einiges weniger frustrierend als etwa Final Fantasy. Das ist eine weitere Zutat zum Erfolgsrezept: Man kann in Dragon Quest nicht verlieren. Jeder kann das Spiel durchspielen, solange er es versucht. Beispiel: Ein komplexes, schwieriges Dungeon ohne Speicherpunkt. Man kämpft sich durch und scheitert schließlich beim Boss. In Final Fantasy erscheint die Nachricht „Game Over“, in anderen Worten „Gratuliere, du hast gerade eine Stunde für nichts verschwendet“. In Dragon Quest wird man am letzten Speicherpunkt wiederbelebt, verliert zwar die Hälfte seines Goldes (dessen Großteil man aber zuvor sowieso sicher in einer Bank verwahrt hat), behält jedoch all seine Erfahrungspunkte und Ausrüstung. Wenn man das Dungeon also jetzt ein zweites Mal in Angriff nimmt, ist es schon kein Vergleich mehr zum ersten Mal.
Um auch beim „Story und Szenario“-Streitpunkt wieder Final Fantasy als Vergleich heranzuziehen: Danke, aber ich ziehe die einfache, ehrliche, bescheidene und charmante Präsentation, Story- und Charakterzeichnung in Dragon Quest dem lächerlich-prätentiös-überladen-wirr-pathetisch-pseudotiefgründigen Schmus vor, den ich etwa im so hochgeschätzten Final Fantasy VII vorfinde…
Also: Gebt Dragon Quest eine Chance. Auf dem DS gibt es zwei fantastische Remakes des vierten und des fünften Teils; gerade der fünfte Teil gilt als eines der definitiven 16-Bit-JRPGs aller Zeiten, gleichberechtigt neben Chrono Trigger und Final Fantasy VI. Und natürlich gibt es den wunderschönen achten Teil auf der PS2.
[Andreas Dobersberger]