Vergangene Woche hat Sega einen Teaser-Trailer für ein neues Sonic the Hedgehog-Spiel in 2D veröffentlicht – der berühmte Sonic-Kreislauf des Verderbens hat wieder von Neuem begonnen. Jedesmal ist der Ablauf gleich: Sega kündigt einen neuen Sonic-Titel an und verspricht, dass diesmal alles anders wird, eine „return to form“. Das hypebesessene Internet glaubt diesen Versprechungen auf der Stelle und flippt aus. Mit der Zeit trudeln Gameplay-Konzept, Screenshots und Videos ein, die Leute beginnen skeptisch zu werden. Big the Cat ist zurück? Sonic verwandelt sich in einen Werwolf? Es gibt minutenlange, peinliche Dialogszenen? Schließlich erscheint das Spiel dann und ist entsetzlich. Vielleicht eine klitzekleine Spur weniger entsetzlich als das davor, aber immer noch entsetzlich. Und die Gamer-Community ist sich einig: Jetzt ist endgültig Schluss! Zu oft sind wir auf Segas Versprechungen hereingefallen! Nie wieder! Aber das Internet hat bekanntlich ein kurzes Gedächtnis, und ein paar Monate später ist es soweit: Sega kündigt einen neuen Sonic-Titel an und verspricht, dass diesmal… (Fortsetzung siehe oben).
Die Menschen wollen einfach glauben, und der Grund dafür ist simpel: nostalgische Erinnerungen an eine Zeit, in der Sonic noch nicht die Witzfigur der Videospielwelt war, sondern ein Garant für Qualität – schnelles, spaßiges Gameplay, raffiniertes Leveldesign, fantastische Musik. Ja, Anfang der Neunziger, da war die Welt noch in Ordnung!
Alles begann damit, dass Sega ein Maskottchen entwickeln wollte, das es Nintendos Mario entgegensetzen konnte. Allerdings sollte es sich auch vom knuffigen, universalen Mario unterscheiden, sollte radikaler sein, cooler, schneidiger, ganz im Geist popkulturellen Atmosphäre der Zeit. Das Ergebnis war „Sonic, der wirklich coole Igel mit seinem Bürstenschnitt und Power-Laufschuhen, mit denen er eine Supergeschwindigkeit erreicht“ – zitiert nach der Spielanleitung von Sonic The Hedgehog, 1991 für das Sega Mega Drive erschienen.
Hinter dem Marketingkonzept verbarg sich aber tatsächlich ein großartiges, innovatives Spiel, das sich natürlich zu einem Großteil durch seine Geschwindigkeit ausgezeichnet hat (es macht großen Spaß, durch Loopings und über Rampen zu sausen), aber nicht ausschließlich, wie man es heutzutage zu glauben scheint. Ein ganz wichtiger Aspekt war das offene Leveldesign. Ein typischer Mario-Level ging wie ein Schlauch von links nach rechts, während Sonic-Levels riesige Areale waren, Spielplätze gewissermaßen, die verschiedenste Pfade zur Durchquerung boten. So hatte man immer die Wahl: Sucht man die schnellstmöglichste Route und baut auf einen hohen Zeitbonus oder erforscht man jede Ecke des Levels und häuft Ringe, Punkte und Extras an?
Die Ringe waren ein weiteres geniales Konzept. Wie die Münzen bei Mario brachten sie Punkte und hundert von ihnen ein Extraleben ein, aber hier dienten sie zusätzlich noch als Lebensretter. Wurde man getroffen, hatte aber Ringe gesammelt, so starb man nicht, sondern verlor erst seine Ringe, die dann tatsächlich in alle Richtungen davonflogen (und von denen man dadurch meistens ein paar wieder aufsammeln konnte). Das hieß auf der einen Seite, dass man nicht getroffen werden durfte, wenn man eine hohe Punktzahl oder Extraleben verdienen wollte, auf der anderen Seite konnte man aber so viele Treffer einstecken, wie man wollte, solange man es schaffte, immer wieder zumindest einen Ring einzusammeln. Das minimierte das Frustpotenzial für Leute, die einfach nur überleben wollten, stellte aber gleichzeitig eine Herausforderung für Highscore-Jäger dar.
Aber Sonic The Hedgehog hatte auch Schwächen, wie etwa die Labyrinth Zone, eine Reihe verwinkelter Unterwasser-Levels, die zu durchqueren langsam und mühsam war, und somit eigentlich der ganzen Grundidee des Spiels entgegenstand. Oder auch die im Vergleich zu den jüngeren Mario-Spielen geringe Anzahl an Power-Ups und geheimen Überraschungen, die das Geschehen mit der Zeit etwas eintönig machte und wenig zum Erforschen der Levels motivierte.
Über die direkten Nachfolger – die teilweise einige Schwächen durch sinnvolle Detailverbesserungen ausmerzen konnten, aber am grundsätzlichen Erfolgsprinzip glücklicherweise nichts veränderten – spreche ich ein anderes Mal. Erst darunter finden sich nämlich die Spiele, die von den meisten als die besten der Serie bezeichnet werden: Sonic CD, Sonic The Hedgehog 2 und Sonic 3 & Knuckles. Ach ja, das Goldene Zeitalter. Lange, lange ist es her.
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