Leisure Suit Larry – Der etwas andere Videospielheld

Wahrscheinlich hat jeder Adventure-Spieler seine Lieblings-Sierra-Reihe, sei es die märchenhafte Fantasysaga King’s Quest, die Science-Fiction-Parodie Space Quest, die Polizeisimulation Police Quest oder der Rollenspiel/Adventure-Hybrid Quest For Glory. Mir persönlich macht es eindeutig am meisten Spaß, in Leisure Suit Larry in die Rolle des kleinen, untersetzten, vierzigjährigen Versagers Larry Laffer zu schlüpfen, der – stets mit seinem geschmacklosen weißen Polyesteranzug bekleidet – nichts anderes im Kopf hat als Frauen, die sich völlig außerhalb seiner Liga befinden. Der Hauptgrund dafür ist der Sprachwitz der Serie: Die gute alte US-amerikanische Prüderie beschert uns herrlich infantile Anspielungen und Doppeldeutigkeiten, dass es nur so kracht.

Geboren wurde Larry Laffer 1987, als sich der Musiklehrer und Programmierer Al Lowe daran machte, ein humorvolles Grafikadventure für Erwachsene zu kreieren, abseits der gängigen Computerspiel-Klischees von Drachen und Raumschiffen. Als technisches Gerüst diente Sierras AGI-Engine, die schon bei King’s Quest und Space Quest eingesetzt worden war – das bedeutet im Klartext, dass der Spieler eine Figur durch eine (im damaligen Sinne) dreidimensionale Welt bewegt, die durch Texteingabe bestimmte Aktionen ausführt. Als inhaltliche Basis nahm er das schon 1981 bei Sierra erschienene Textadventure Softporn, peppte es aber mit neuen Locations, Charakteren und vor allem viel Humor auf und fügte nicht zuletzt den sympathischen Antihelden Larry als Hauptfigur ein.

Das Ergebnis trug den schönen Titel Leisure Suit Larry in the Land of the Lounge Lizards. Man übernimmt für eine Nacht Larrys Rolle und treibt sich im Nachtleben der fiktiven Metropole Lost Wages herum, mit dem Ziel a) nach beinahe 40 Lebensjahren endlich seine Jungfräulichkeit zu verlieren und b) seine Traumfrau zu finden, denn – was oft übersehen wird – tief im Inneren ist Larry trotz aller Testosterongesteuertheit ein alter Romantiker.

Zuerst liefen die Verkäufe ziemlich schleppend, doch bald mauserte sich Leisure Suit Larry dank Mundpropaganda vom Geheimtipp zum Megaerfolg. Da es auf Erwachsene zugeschnitten war verfügte es praktischerweise über eine sogenannte „Boss-Taste“ – drückte man diese, erschien auf dem Bildschirm sofort ein seriös wirkendes Diagramm; die Rettung, wenn der Chef plötzlich zur Tür hineinkam.

Der Nachfolger erschien ein Jahr später; Leisure Suit Larry Goes Looking for Love (in Several Wrong Places) unterschied sich vom ersten Teil vor allem dadurch, dass es eine richtige Story gab, immerhin war der erste Teil eher soetwas wie ein Sandbox-Spiel gewesen. Larry fällt aus Versehen ein streng geheimer Mikrofilm in die Hand, weswegen er unter anderem vom KGB gejagt wird. Am Ende vereitelt er gar die finsteren Pläne eines verrückten Wissenschaftlers. Von den Schauplätzen her geht es diesmal höchst sommerlich zu: Als Locations dienen unter anderem ein Kreuzfahrtschiff und sonnige Strände in der Südsee. Knackpunkt bei dem Spiel ist, dass es – wie so oft bei Sierra – extrem viele frustrierende Sackgassen und Möglichkeiten zu sterben gibt. Hat man beispielsweise im ersten Spielteil keine Sonnencreme gekauft, wird man später auf einem Rettungsboot in der prallen Sonne gnadenlos geröstet. Da bleibt einem dann nichts anderes übrig, als nochmal von vorn zu beginnen. Glücklicherweise sind die Rätsel dafür meist nicht allzu schwer, so dass man mit gründlichem Absuchen aller Locations und dem großzügigen Anlegen von Speicherständen größtenteils ganz gut über die Runden kommt. Technisch unterschied sich Larry 2 auf den ersten Blick nicht stark von seinem Vorgänger, tatsächlich wurde aber bereits Sierras neue SCI-Engine verwendet.

Wiederum ein Jahr später, also 1989, kam mit Leisure Suit Larry 3 – Passionate Patti in Pursuit of the Pulsating Pectorals der dritte Teil auf den Markt. Larry ist diesmal auf einer tropischen Insel auf der Suche nach der großen Liebe und findet sie schließlich in der titelgebenden Barpianistin Patti. In der zweiten Spielhälfte übernimmt man die Rolle Pattis, um mit ihr wiederum Larry zu finden. Am Ende wird das Ganze dann ganz schön „meta“: Die beiden landen in der Sierra-Zentrale (wo sie durch die „Sets“ anderer Sierra-Spiele stolpern) und einigen sich mit Chef Ken Williams darauf, ihre Geschichte als Computerspiel zu erzählen.

Al Lowe war glücklich, einen so schönen Abschluss für seine Trilogie gefunden zu haben und verkündete, dass es ein Larry 4 niemals geben werde. Und tatsächlich: Nach einem Remake des ersten Teils mit VGA-Grafik und Point&Click-Interface erschien 1991 Leisure Suit Larry 5: Passionate Patti Does A Little Undercover Work. Der vierte Teil wurde einfach übersprungen.

Das gab natürlich Anstoß zu den wildesten Mythen, so dass es „Was geschah mit Larry 4?“ fast auf eine Stufe mit „Wo ist das Benzin für die Kettensäge?“ schaffte. Eine beliebte Theorie war, dass Lowes Hund die Larry 4-Disketten gefressen hatte. Inzwischen hat er selbst jedoch die Wahrheit ans Licht gebracht (Lowe, nicht sein Hund), die aus zwei relativ einfachen Gründen besteht: 1) Larry 4 war als das erste Massive-Multiplayer-Online-Adventure der Welt geplant – ein überambitioniertes Projekt, das kolossal gescheitert ist. 2) Al Lowe hatte sowieso keine Ahnung, wie er an das doch sehr endgültige Ende des dritten Teils anschließen hätte sollen. Also ließ er einfach eine Lücke und präsentierte das nächste Larry-Spiel als Teil Fünf.

Technisch auf dem gleichen Niveau wie das Remake des ersten Teils – also VGA-Grafik und Icon-Interface – stand bei Larry 5 wieder die Story im Vordergrund. Der Spieler übernimmt abwechselnd die Rolle von Larry, der unter Gedächtnisschwund leidet und im Auftrag einer Pornofirma drei sexy Frauen besucht, die in einer Fernsehsendung auftreten sollen, und von Patti, die für das FBI gegen zwei Plattenfirmen ermittelt. Am Ende treffen sich die beiden Handlungsstränge, und auch Larry und Patti sind wieder glücklich vereint.

1993 kehrte Leisure Suit Larry 6: Shape Up or Slip Out! schließlich spielerisch wieder zu den Wurzeln der Serie zurück, ging also zurück zum Sandbox-Prinzip, anstatt Larry in haarsträubende Kriminalfälle zu verwickeln. Er befindet sich dieses Mal auf der Schönheitsfarm La Costa Lotta, auf der es von Frauen natürlich nur so wimmelt. Das Spiel kam ein Jahr später noch einmal als aufgepeppte CD-ROM-Version auf den Markt, mit höherer Auflösung und Sprachausgabe.

Für das 1996 erschienene Leisure Suit Larry 7: Love for Sail! ließ sich Al Lowe einige bemerkenswert interessante Features einfallen. So gab es ein vollkommen neues Interface, das optional sogar wieder die Möglichkeit zur Texteingabe anbot, eine Scratch’n’Sniff-Karte, durch die der Spieler an einigen Stellen des Spiels Gerüche aus der Handlung „live“ erleben konnte, und die Möglichkeit, per Foto-Scan und Sprachaufnahme selbst als Charakter im Spiel aufzutauchen. Die Story hält sich wieder an das klassische Larry-Schema – wenig Handlung, viele Frauen; diesmal verschlägt es den kleinen Schwerenöter auf ein Kreuzfahrtschiff.

Nach diesem Kapitel kam die Larry-Reihe leider zu einem abrupten Ende. Al Lowe dachte nicht ans Aufhören und arbeitete fleißig an Leisure Suit Larry 8: Lust in Space, als die Adventure-Abteilung Sierras geschlossen wurde. Lowe musste die Entwicklung aufgeben und verließ die Firma. Was später ohne Zutun von Lowe mit der Leisure Suit Larry-Lizenz gemacht wurde, darüber spricht man nicht.

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