Einer kommt selten allein

Es ist also offiziell. Das von Sega angekündigte neue Sonic-Spiel mit dem Codenamen Project Needlemouse heißt Sonic The Hedgehog 4, wird episodisch und im Download-Format erscheinen und soll in seinem Gameplay direkt an die Klassiker des Franchise, Sonic 1, 2 und 3, anschließen. Sind Sega die Furries als Kunden ausgegangen, so dass sie sich nun, wohl inspiriert von Erfolgen wie dem eines Mega Man 9, doch dazu entschlossen haben, das zu tun, was ihnen so gut wie die gesamte Spieleindustrie und Gamer-Community jahrelang gepredigt hat? Sollte der Sonic-Kreislauf des Verderbens vielleicht durchbrochen werden? Ich persönlich bin skeptisch, aber mal sehen.

Über das erste Sonic The Hedgehog habe ich ja hier schon gesprochen, aber wenn um das beste Sonic-Spiel von allen geht, läuft es in Diskussionen meist auf drei andere Titel der Reihe hinaus, nämlich Sonic 2, Sonic CD und Sonic 3 & Knuckles. Sehen wir uns heute einmal Sonic 2 an, vielleicht das quintessentielle, purste, sich der Perfektion des Sonic-Konzepts am nächsten befindliche Sonic-Spiel.

Sonic 2 (erschienen im Jahr 1992) war der direkte Nachfolger zu Sonic The Hedgehog auf dem Mega Drive und hat die Formel des ersten Teils an genau den richtigen Stellen leicht verbessert. Statt drei Stages pro Zone gab es jetzt nur noch zwei, was für mehr Abwechslung sorgte, und Sonic bekam einen speziellen Move spendiert, der so essientiell ist, dass er aus den 2D-Teilen der Serie seitdem nicht mehr wegzudenken ist, und sogar in Re-Releases des ersten Teils nachträglich eingefügt wurde: der Spin Dash Attack, mit dem Sonic aus dem Stand heraus auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen kann, womit sich der Spieler etwa das etwas lästige Anlaufnehmen vor dem Durchbrechen einer Mauer oder dem Hochrennen einer Rampe erspart. Eine nur scheinbar kleine und nebensächliche Design-Entscheidung, die das Spielgefühl signifikant verbesserte.

Eine prominentere Addition war Sonics Gefährte, der Fuchs Miles Prower (Nä? Nä? Kapiert? „Miles Prower“? „Miles-per-hour“? Ja, ich hab’s auch erst ca. 15 Jahre später kapiert.), genannt Tails. Im Singleplayer-Modus konnte er neben Sonic herlaufen und von einem zweiten Spieler gesteuert werden, was in der Praxis allerdings nicht wirklich funktionierte, weil noch immer Sonic allein den Bildausschnitt bestimmte. Wenn Tails nicht mithalten konnte verschwand er vom Bildschirm und kam ein erst paar Sekunden später nachgeflogen. (Ja, Tails kann fliegen, weil er zwei Schwänze hat, es ergibt keinen Sinn, ich weiß.) Dafür gab es aber einen meiner Meinung nach sehr spaßigen kompetitiven Zwei-Spieler-Modus im Splitscreen, dessen einziges Manko darin bestand, dass er technisch zu viel für die Mega Drive-Hardware war und es so regelmäßig zu Flackern und starkem Slowdown kam.

Abermals großartig waren Grafik und Musik. Die hypnotische Ohrwurm-Melodie und rhytmische Bassline der Oil Ocean Zone allein zählen zu den musikalischen Höhepunkten der 16-Bit-Ära. Visuell waren nicht nur die farbenfrohen Levels beeindruckend, sondern auch die neuen Special Stages, in denen Sonic und Tails in 3D durch eine Art Bobbahn laufen und Ringe sammeln (und am Ende einen von sieben Chaos Emeralds). Allerdings waren diese Stages in meinen Augen wirklich schwierig; man musste sich schon verdammt anstrengen, wenn man alle Chaos Emerald sammeln wollte, bevor man am Ende des Spiels angelangt war. Die Belohnung konnte sich allerdings sehen lassen und stellte eine weitere Neuerung dar: Hatte man alle Special Stages erfolgreich absolviert, konnte man sich, sofern man 50 Ringe in seinem Besitz hatte, an jeder beliebigen Stelle in Super Sonic verwandeln, eine Art Super Saiyan-Version von Sonic, die schneller und nahezu unbesiegbar war.

Ein bizarres Detail am Rande: Ich kann mich noch an die Anzeigen für Sonic 2 in Spielemagazinen erinnern (als Sonic-Fan war ich natürlich mördermäßig gehypt), und diese Anzeigen bewarben das Spiel mit dem wohl bescheuertsten Slogan, den ich je gehört habe: „Einer kommt selten allein“. Ich meine, ich kenne „Ein Unglück kommt selten allein“, aber „Einer kommt selten allein“? Was soll das überhaupt bedeuten?

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Der Sonic-Kreislauf des Verderbens

Vergangene Woche hat Sega einen Teaser-Trailer für ein neues Sonic the Hedgehog-Spiel in 2D veröffentlicht – der berühmte Sonic-Kreislauf des Verderbens hat wieder von Neuem begonnen. Jedesmal ist der Ablauf gleich: Sega kündigt einen neuen Sonic-Titel an und verspricht, dass diesmal alles anders wird, eine „return to form“. Das hypebesessene Internet glaubt diesen Versprechungen auf der Stelle und flippt aus. Mit der Zeit trudeln Gameplay-Konzept, Screenshots und Videos ein, die Leute beginnen skeptisch zu werden. Big the Cat ist zurück? Sonic verwandelt sich in einen Werwolf? Es gibt minutenlange, peinliche Dialogszenen? Schließlich erscheint das Spiel dann und ist entsetzlich. Vielleicht eine klitzekleine Spur weniger entsetzlich als das davor, aber immer noch entsetzlich. Und die Gamer-Community ist sich einig: Jetzt ist endgültig Schluss! Zu oft sind wir auf Segas Versprechungen hereingefallen! Nie wieder! Aber das Internet hat bekanntlich ein kurzes Gedächtnis, und ein paar Monate später ist es soweit: Sega kündigt einen neuen Sonic-Titel an und verspricht, dass diesmal… (Fortsetzung siehe oben).

Die Menschen wollen einfach glauben, und der Grund dafür ist simpel: nostalgische Erinnerungen an eine Zeit, in der Sonic noch nicht die Witzfigur der Videospielwelt war, sondern ein Garant für Qualität – schnelles, spaßiges Gameplay, raffiniertes Leveldesign, fantastische Musik. Ja, Anfang der Neunziger, da war die Welt noch in Ordnung!

Alles begann damit, dass Sega ein Maskottchen entwickeln wollte, das es Nintendos Mario entgegensetzen konnte. Allerdings sollte es sich auch vom knuffigen, universalen Mario unterscheiden, sollte radikaler sein, cooler, schneidiger, ganz im Geist popkulturellen Atmosphäre der Zeit. Das Ergebnis war „Sonic, der wirklich coole Igel mit seinem Bürstenschnitt und Power-Laufschuhen, mit denen er eine Supergeschwindigkeit erreicht“ – zitiert nach der Spielanleitung von Sonic The Hedgehog, 1991 für das Sega Mega Drive erschienen.

Hinter dem Marketingkonzept verbarg sich aber tatsächlich ein großartiges, innovatives Spiel, das sich natürlich zu einem Großteil durch seine Geschwindigkeit ausgezeichnet hat (es macht großen Spaß, durch Loopings und über Rampen zu sausen), aber nicht ausschließlich, wie man es heutzutage zu glauben scheint. Ein ganz wichtiger Aspekt war das offene Leveldesign. Ein typischer Mario-Level ging wie ein Schlauch von links nach rechts, während Sonic-Levels riesige Areale waren, Spielplätze gewissermaßen, die verschiedenste Pfade zur Durchquerung boten. So hatte man immer die Wahl: Sucht man die schnellstmöglichste Route und baut auf einen hohen Zeitbonus oder erforscht man jede Ecke des Levels und häuft Ringe, Punkte und Extras an?

Die Ringe waren ein weiteres geniales Konzept. Wie die Münzen bei Mario brachten sie Punkte und hundert von ihnen ein Extraleben ein, aber hier dienten sie zusätzlich noch als Lebensretter. Wurde man getroffen, hatte aber Ringe gesammelt, so starb man nicht, sondern verlor erst seine Ringe, die dann tatsächlich in alle Richtungen davonflogen (und von denen man dadurch meistens ein paar wieder aufsammeln konnte). Das hieß auf der einen Seite, dass man nicht getroffen werden durfte, wenn man eine hohe Punktzahl oder Extraleben verdienen wollte, auf der anderen Seite konnte man aber so viele Treffer einstecken, wie man wollte, solange man es schaffte, immer wieder zumindest einen Ring einzusammeln. Das minimierte das Frustpotenzial für Leute, die einfach nur überleben wollten, stellte aber gleichzeitig eine Herausforderung für Highscore-Jäger dar.

Aber Sonic The Hedgehog hatte auch Schwächen, wie etwa die Labyrinth Zone, eine Reihe verwinkelter Unterwasser-Levels, die zu durchqueren langsam und mühsam war, und somit eigentlich der ganzen Grundidee des Spiels entgegenstand. Oder auch die im Vergleich zu den jüngeren Mario-Spielen geringe Anzahl an Power-Ups und geheimen Überraschungen, die das Geschehen mit der Zeit etwas eintönig machte und wenig zum Erforschen der Levels motivierte.

Über die direkten Nachfolger – die teilweise einige Schwächen durch sinnvolle Detailverbesserungen ausmerzen konnten, aber am grundsätzlichen Erfolgsprinzip glücklicherweise nichts veränderten – spreche ich ein anderes Mal. Erst darunter finden sich nämlich die Spiele, die von den meisten als die besten der Serie bezeichnet werden: Sonic CD, Sonic The Hedgehog 2 und Sonic 3 & Knuckles. Ach ja, das Goldene Zeitalter. Lange, lange ist es her.