Im März 2007 erschien der erste Trailer zu GTA IV. Was mich dabei überraschte, war der plötzliche, gewaltige Hype, der damals seinen Anfang nahm – vielleicht der größte, den ich je einen Videospiel-Release betreffend erlebt hatte. Als GTA IV dann schlussendlich im April 2008 erschien, lobten es die Kritiker in den Himmel, und sogar die Mainstream-Medien waren voll davon. In Wien hingen Plakate. Plakate zu einem Videospiel, gegenüber der Staatsoper. Ich hatte keine Ahnung, wo dieser Hype hergekommen war, und spielen konnte ich es in Ermangelung einer Current-Gen-Konsole sowieso nicht. Bald jedoch wurde die PC-Version angekündigt, was mich freute, und ich nahm mir vor, ein wenig GTA-Geschichte nachzuholen, sei es nur, um rückwirkend den Hype verstehen zu können.
Abgesehen von den beiden PSP-Spinoffs war mein letzter richtiger Kontakt mit der Serie GTA II gewesen. Ich setzte gleich mit GTA: Vice City fort und übersprang GTA III, welches – so hatte ich den Eindruck – das im Grunde selbe Spiel minus Inhalt und Charakter war. Vice City machte mir interessanterweise deutlich mehr Spaß als Vice City Stories; keine Ahnung, ob es an mir lag oder an den Spielen. Trotzdem, irgendwann stieß ich wieder an die Wand, an der die Missionen zu frustrierend werden und man auf Cheat-Codes und Polizeiautos in die Luft jagen umsteigt. Viel zu tun gab es ja außerhalb der Missionen sonst nicht. Dieses Problem hatte ich mit GTA immer gehabt: Man hat zwar diese riesige Stadt, aber im Grunde ist sie nur eine Attrappe, die dazu dient von Punkt A zu Punkt B zu kommen. Interaktionsmöglichkeiten hat man kaum. Klar, ich kann Autos klauen und Passanten niederknüppeln, eventuell nich ein paar Taxi- oder Rettungsmissionen machen, die sich wieder auf das Fahren von Punkt A nach Punkt B beschränken. Kein Vergleich zu der lebendigen Welt eines Ultima VII, wo es an jeder Ecke etwas Spannendes zu entdecken und unzählige Möglichkeiten gibt.
Um die Verbindung zu GTA IV herzustellen, entschloss ich mich schließlich noch, GTA: San Andreas zumindest anzuspielen. Dieser Teil der Serie hatte mich immer am wenigsten interessiert, was vor allem am Gangsta-Szenario lag, das auf mich wirkte, als wäre es ausschließlich auf dreizehnjährige 50 Cent/Bushido-Hörer zugeschnitten. Der größte Irrtum meiner Gamer-Karriere? Gut möglich. Und das sagt jemand, der Daikatana gekauft hat.
Dass mir ein solches Versäumnis passieren konnte, hatte neben meiner ursprünglichen Vorurteilsbehaftung wohl noch einige weitere Gründe. Zu der Zeit als das Spiel erschien, bezog ich meine Infors noch kaum aus dem Internet, sondern fast ausschließlich aus einem deutschen Spielemagazin, das mir dank seiner stumpfsinnig-trockenen Stiftung-Warentest-artigen Wertungskasten-„Reviews“ kaum etwas über die wahren Qualitäten des Spiels vermitteln konnte. Auf mich erschien es wie eine weitere Variante des immergleichen GTA-Prinzips, nur diesmal eben mit „coolen Gangstas“ statt mit Leuten in Hawaii-Shirts und Neonanzügen. Außerdem habe ich mich wohl von den bescheuert-verlogenen Kontroversen in den Mainstream-Medien so weit beeinflussen lassen, dass San Andreas auf mich immer wie ein primitives und dummes Spiel wirkte. Umso größer war meine Überraschung als ich entdeckte, wieviel reine Ambition und Detailliebe in dieses Werk geflossen ist.
Ich könnte jetzt über die gigantische, abwechslungsreiche Spielwelt reden (ein ganzer Staat!), aus deren Durchquerung und Erforschung sich mit der Zeit eine wunderbare USA-Gesellschaftssatire ergibt. Oder über die Rollenspiel-Elemente und wie sie sich auf das Spielgeschehen auswirken. Oder über das großartige Figuren-Ensemble, mitsamt dem insgesamt vielleicht besten Voice-Acting, die ich je in einem Videospiel gehört habe (James Woods als Mike Toreno – unbezahlbar). Über die endlich funktionierende Steuerung. Über die Grafik und Animationen. Verdammt, ich könnte einen eigenen Artikel nur über die Fahrräder in diesem Spiel schreiben. Ehrlich.
San Andreas ändert nichts am grundsätzlichen GTA-Prinzip, ist aber für mich der erste Titel der Reihe, in dem unzählige kleinere und größere Elemente so zusammenkommen, dass sie insgesamt eine durchgehend faszinierende, immersive und mitreißende Erfahrung bieten. Natürlich gibt es noch immer viele der alten Probleme, allen voran das unnachgiebige und dadurch an vielen Stellen extrem frustrierende Missionsdesign – aber hier war es mir das zum ersten Mal wert; San Andreas ist bis heute das einzige Spiel der Serie, das ich bis zum Ende durchgespielt habe.
Selbstverständlich wäre ich demnach sehr interessiert daran, GTA IV zu spielen. Aber wie gesagt bin ich auf die PC-Version angewiesen, und die werde ich mir erst dann besorgen, wenn sie auf ein einigermaßen spielbares Niveau gepatcht wurde. Bis dahin gibt es GTA: Chinatown Wars, laut Metacritic immerhin das am besten bewertetste DS-Spiel aller Zeiten, das obendrein vom Design her stark an die Tage erinnert, als ich GTA zum ersten Mal für mich entdeckte.
[Andreas Dobersberger]