Warum die Mitte der Neunziger eine schreckliche Zeit für Videospiele war

Die Mitte der Neunziger Jahre, und damit meine ich grob die Zeitspanne von 1994 bis 1996, ist videospielhistorisch betrachtet eine wichtige Umbruchszeit, und es gibt Spieler, die sie als Lieblingsperiode oder gar Goldenes Zeitalter ihres Hobbys bezeichnen. Ich persönlich konnte diese Einstellung nie teilen. Für mich sind die Mitte der Neunziger ein düsteres Zeitalter für Videospiele, voller Verirrungen, blödsinniger Ideen und nerviger „Trends“. Klar, es war nicht alles schlecht – das Super Nintendo beispielsweise spuckte um die Zeit viele seiner besten Titel aus (Super Metroid, Chrono Trigger, Earthbound, Yoshi’s Island etc.) – aber insgesamt bin ich einfach froh, diese Zeit überwunden zu haben. Hier sind ein paar Gründe:

– Der Markt war überflutet mit schlechten, teilweise überteuerten Konsolen. Ich meine, kann irgendjemand drei gute Exklusiv-Titel für das 3DO nennen? Ich bezweifle es, aber seine Entwickler waren selbstbewusst genug, beim US-Launch $699,95 (!) zu verlangen. Da soll noch jemand behaupten, die PS3 wäre überteuert. Daneben gab es „Prachtstücke“ wie Phillips CD-i, Atari Jaguar, Amiga CD32, Sega Saturn und nicht zu vergessen Nintendo’s Virtual Boy.

– CD-ROMs waren das neue große Ding, was in der Praxis bedeutete: schlechte FMV-Games (auch genannt „Interactive Movies“). Die Mitte der Neunziger waren eine Zeit, in der man allen Ernstes glaubte, FMV-Games seien die Zukunft. FMV steht für „Full Motion Video“ in bedeutete in der Praxis verpixelte Filmsequenzen, meistens auf Briefmarkengröße, mit entsetzlichen Schauspielern und verblödeten Spielkonzepten. Der Minderwertigkeitskomplex der Spieleindustrie gegenüber der Filmindustrie nahm hier seine furchterregendsten und groteskesten Formen an. Für eine Kostprobe sei dieses Video empfohlen.

– Was tatsächlich die Zukunft darstellte, war natürlich 3D-Polygon-Grafik. Mitte der Neunziger begann die Phase, in der sich nichts verkauft, wenn es nicht 3D ist, egal wie scheiße das „3D“ aussieht oder sich steuern lässt – von dieser Entwicklung haben wir uns erst seit ein paar Jahren wieder halbwegs erholt. Das Problem zu der Zeit war, dass die Technik einfach noch nicht weit genug war. Man kann heute kein frühes PlayStation-Spiel mehr anwerfen ohne sich zu übergeben. Damals waren alle beeindruckt, aber rückblickend ist die Playstation in etwa so gut gealtert wie das Atari 2600. Abgesehen eben von ihren 2D-Titeln: Castlevania: Symphony of the Night sieht auch heute noch absolut fantastisch aus.

– Zwei der im Grunde großartigsten Computerspielgenres, namentlich Adventures und westliche Rollenspiele, starben einen qualvollen Tod. Was die Rollenspiele betrifft, war es nicht so dramatisch, da sie recht schnell wiederauferstanden, aber Adventures haben sich nie mehr richtig erholt. Die Kids wollten pfeilschnelle 3D-Grafik, keine gemächlichen Point-and-Click-Geschichten. Ausnahme war bekanntlich Myst, eines der wenigen Beispiele, in denen FMV halbwegs geschickt eingesetzt wurde. Nur war Myst eher ein eigenes Genre als ein Point-and-Click-Adventure, nämlich eines, das spannende Handlung, interessante Figuren und gewitzte Dialoge durch stumpfsinnige Schalterrätsel ersetzte. Weitere Genres, die unglaubliche Siegeszüge begannen, waren Echtzeitstrategie (Command & Conquer) und das „Action-Adventure“ vom Tomb Raider-Schlag. Gähn.

– Multiplayermodi über LAN und Internet waren plötzlich der wichtigste Aspekt eines jeden PC-Spiels. Vorbei war die schöne Zeit, als man mit Freunden oder Geschwistern vor dem Computer saß, jetzt war es wichtiger mit einem Arbeitskollegen fünf Büros weiter oder mit einer völlig fremden Person in Korea zu spielen.

Und das sind nur einige der Gründe, warum ich an die Mitte der Neunziger in Hinsicht auf Videospiele nur mit Schaudern zurückdenke. Natürlich, heute haben wir ganz andere Probleme, aber insgesamt geht es uns doch besser, und dafür sollten wir dankbar sein. In diesem Sinne, Frohe Ostern.

[Andreas Dobersberger]