Die Briten und ihr „Speccy“

Für die Briten ist der Sinclair ZX Spectrum (Spitzname „Speccy“) ein Nationalheiligtum. Als einer der ersten leistbaren Heimcomputer bot er 1982 so manchem die ersten Videospiel- und Programmiererfahrungen und hat noch heute einen festen, nostalgischen Platz in den Herzen der britischen Spielergemeinde. Im deutschen Sprachraum ist dieser Platz meist dem Commodore 64 vorbehalten – auf der Insel konnte sich dieser nur schwer und erst relativ spät gegen den Spectrum durchsetzen. Und wer glaubt, ich würde mit dem Wort „Nationalheiligtum“ übertreiben: 1983 überreichte Margaret Thatcher dem japanischen Premierminister als Symbol für Großbritanniens technologisches Können höchstpersönlich einen Spectrum, und im selben Jahr wurde sein Erfinder Clive Sinclair zum Ritter geschlagen.

Hier ein paar technische Eckdaten, nur um eine Perspektive auf die damaligen Verhältnisse zu bekommen: Das erste Modell des Spectrum war mit einem 3.5 Mhz-Prozessor ausgestattet und verfügte wahlweise über 16 oder 48 Kilobyte RAM. Die Bildauflösung betrug 256×192 bei 15 Farben. Hatte man sich einen Spectrum zugelegt brauchte man noch Fernsehgerät und einen Kassettenrekorder – das Fernsehgerät, weil Computermonitore einfach noch nicht selbstverständlich waren und den Kassettenrekorder, weil als Standarddatenträger Audiokassetten dienten. Einschlägigen Magazinen wie Your Spectrum (später Your Sinclair), Sinclair User und CRASH lagen oftmals Programme und Spiele bei, allerdings nicht etwa in Kassetten- oder Diskettenform, sondern in Form von Codelistings in BASIC, die abgetippt und dann selbst gespeichert werden mussten.

Wie sah es nun an der Spielefront aus? Selbstverständlich gibt es eine Menge an kanonisierten Speccy-Klassikern, die es allerdings höchst selten ins allgemein-kollektive Gamer-Gedächtnis geschafft haben – am ehesten dann, wenn sie auch auf mehreren anderen Systemen veröffentlicht wurden, wie etwa Codemasters‘ Dizzy-Reihe oder Melbourne Houses Textadventure-Umsetzung von The Hobbit. Zu weiteren Spectrum-Klassikern zählen beispielsweise die Jump-and-Runs Magic Miner und Jet Set Willy, die Rebelstar-Reihe (rundenbasierte Taktikspiele von Julian Gollop, späterer Designer der X-COM-Serie) oder die augenzwinkernde Schulsimulation Skool Daze, möglicherweise das Vorbild für Rockstars Bully.

Das Genre allerdings, das mit dem Spectrum wie kein anderes verbunden ist, ist jenes der isometrischen Action-Adventures. In diesen Spielen steuert man seine Spielfigur durch isometrisch dargestellte Räume, in denen man Gegner überwinden und verschiedenste Geschicklichkeits- und Rätselaufgaben lösen muss. Die isometrische Perspektive war eine clevere Methode, mit recht einfachen technischen Mitteln eine dreidimensionale Spielwelt zu erschaffen. Das erste Spiel dieser Art und damit ungeheuer einflussreich war Knight Lore von Ultimate Play The Game aus dem Jahr 1984. Dabei sollte man sich nicht vom recht dämlich klingenden Entwicklernamen täuschen lassen; hinter Ultimate Play The Game verbirgt sich nämlich die Firma, die später ihren Namen in Rareware bzw. Rare ändern und Titel wie Battletoads, Donkey Kong Country, GoldenEye 007, Banjo-Kazooie, Conker’s Bad Fur Day und Viva Pinata veröffentlichen sollte.

Das Rezept von Knight Lore wurde nicht nur auf dem Spectrum unzählige Male kopiert (z.B. in Head Over Heels, von dem es ein wunderschönes Freeware-Remake gibt – Empfehlung!), sondern lebte praktisch bis in die Mitte der Neunziger Jahre hinein weiter, als es mit der Etablierung von 3D-Polygon-Grafik größtenteils obsolet wurde. Interessante Variationen des Prinzips finden sich unter anderem in Cadaver (1990), D/Generation (1991) und Mystic Towers (1994).

Spectrum-Spiele heute zu spielen ist übrigens nicht schwer: Es gibt eine Vielzahl an Emulatoren für verschiedenste Systeme (auch als Facebook-Applications). Eine extensive Datenbank an Informationen, Dokumentationen, Emulatoren und ROMs findet sich auf http://www.worldofspectrum.org/. Nur nicht vergessen dabei eine Tasse Earl Grey zu trinken, God Save The Queen zu pfeifen und zwischendurch „Bloody ‚ell!“ zu rufen.

[Andreas Dobersberger]