Alter Ego

Dieser Tage ist ein Point-and-Click-Adventure namens Alter Ego erschienen, was mich aufhorchen ließ, weil es schon einmal ein grandioses Spiel mit diesem Namen gab. Zwar ist der neue Titel, wie mir schnell klar wurde, lediglich ein ödes 08/15-Mystery-Adventure, das nichts mit seinem Namensvetter gemein hat, aber hey, das heißt ja nicht, dass man ihn nicht zum Anlass nehmen kann, den gleichnamigen Klassiker wieder einmal auszugraben.

Alter Ego, 1986 von Good Ol‘ Activision für C64, Apple II, DOS und Mac OS veröffentlicht, ist ein interessantes, frühes Beispiel einer Lebenssimulation, allerdings mit einem entschieden anderen Ansatz als das um einiges bekanntere Little Computer People. In Alter Ego durchläuft der Spieler in sieben „Levels“ tatsächlich ein gesamtes Leben von der Geburt bis zum Tod.

Zu Beginn legt man mittels einer Handvoll psychologischer Fragen seinen Grundcharakter fest, und nach der Geburt findet man sich auf einem Spielfeld wieder, auf dem verschiedene Icons zur Auswahl stehen. Diese repräsentieren Lebenssituationen, die textlich dargeboten werden und mittels Multiple Choice-Verfahren „gelöst“ werden müssen. Dabei gibt es selten richtige oder falsche Antworten, vielmehr haben die eigenen Aktionen und Erlebnisse Einfluss auf diverse Charakterwerte wie Selbstvertrauen, körperliche Verfassung, Intelligenz und Zufriedenheit, die wiederum spätere Situationen beeinflussen können.

Diese Lebenssituationen sind äußerst vielfältig: Sabbere ich die Rassel voll oder schüttle ich sie? Fange ich eine Rauferei in der Klasse an? Wie gehe ich mit Gruppenzwang um? Wie verhalte ich mich, wenn die Freundin meines besten Freundes Interesse an mir zeigt? Sage ich dem Chef meine Meinung? Prostituierte und Kokain – yay or nay?

An dieser Stelle sollte etwas über den Autor des Spiels gesagt werden: Es handelt sich um den Psychologen Peter J. Favaro, der seine Fachexpertise und -erfahrungen auf zugängliche und humorvolle Weise in einem Computerspiel unterbringen wollte, was ihm auch hervorragend gelungen ist. Fast jede der Entscheidungen im Spiel ist interessant und die Texte sind gut und oft witzig geschrieben. Viele Stellen sind überraschend klug und einfühlsam und regen zum Nachdenken über das eigene Leben an.

Obwohl das Spiel nur an sehr wenigen Stellen völlig linear ist (fast alle der Lebensituationen sind komplett optional und in beliebiger Reihenfolge zu absolvieren), ist man als Baby und kleines Kind in seinen Aktionen noch recht eingeschränkt. Richtig interessant und um einigens offener und komplexer wird es allerdings, sobald man älter wird: Neben den festgelegten Multiple-Choice-Entscheidungen bekommt man etwa die Möglichkeit sich einen Job zu suchen, aufs College zu gehen, zu daten, sogar zu heiraten und Kinder zu bekommen. Hier erinnert Alter Ego dann schon durchaus stark an The Sims.

Ein Kuriosum stellt die Tatsache dar, dass es das Spiel in zwei Versionen gab: eine für Männer und eine für Frauen. Allerdings muss man sich, wenn man heute Alter Ego spielen will, glücklicherweise nicht auf die Suche nach den Originalversionen und dazugehörigen Emulatoren begeben; auf der Seite www.playalterego.com ist es in einer leicht modernisierten Fassung als Browsergame zu spielen und kann sogar für iPhone oder Android heruntergeladen werden.

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