Scott Pilgrim vs. The World: The Game – Oder: Mist, aus dem Ubisoft-Boykott wird wohl nix

Ich bin seit Jahren ein großer Fan der Scott Pilgrim-Comics. Die mittlerweile vollendete, sechsteilige Buchreihe ist ein unheimlich originelles, witziges und intelligentes Portrait einer Generation, für deren Vertreter Popkultur – im speziellen Videospielkultur – ein integraler Bestandteil ihres Lebens ist, und wie diese Tatsache ihre Perspektive auf das Leben beeinflusst – in positiver wie negativer Hinsicht.

Die Verflimung der Reihe von Edgar Wright ist vor einigen Tagen in den USA und einer Reihe anderer Länder angelaufen und bahnt sich so langsam ihren Weg durch die Kinos der Welt. An allerletzter Stelle im Release-Kalender steht der deutschsprachige Raum. Wir sollen bis zum 6. Jänner 2011 warten, was den Film hierzulande quasi zum Tode verurteilt und obendrein zeigt, wie erschreckend vorgestrig Teile der Filmindustrie immer noch denken.

Doch was hat das alles mit Retrogaming zu tun? Nun, zu allererst ist Scott Pilgrim stark in der 8-bit-Kultur verankert, nicht nur was Anspielungen oder ähnliches betrifft, sondern in seiner Ästhetik und Struktur: Die ganze Welt des Comics bzw. des Films funktioniert teilweise nach klassischen Videospielregeln – Bosskämpfe, Extraleben, Savepoints, Items, Level-Ups – die gewissermaßen metaphorisch auf das wahre Leben angewandt werden.

Zum anderen ist passend dazu und mit dem Release des Films einhergehend ein Scott Pilgrim-Videospiel von Ubisoft für PSN erschienen (in einigen Tagen wird es auch auf XBLA landen), das eine der schönsten Retrogaming-Homages der letzten Zeit darstellt. Es handelt sich um ein Beat-em-Up in der Tradition von Klassikern wie Final Fight, Streets of Rage, Double Dragon und River City Ransom und bietet nicht nur spielerisch, sondern auch grafisch und akustisch ein himmlisches Retro-Erlebnis sondergleichen. Für das Art Design zeichnet sich der für Pirate Baby’s Cabana Battle Street Fight 2006 bekannte Paul Robertson verantwortlich, was in wirklich fantastischer, farbenfroher und prächtig animierter Pixel Art resultiert. Der Soundtrack wird von Anamanaguchi beigesteuert, einer New Yorker Chiptune-Rockband, und schlägt in die selbe Kerbe: atemberaubend.

Das Gameplay bietet überraschende Tiefe sowohl für einen Brawler als auch erst recht für ein Tie-In-Lizenzspiel. Es gibt sieben große Levels mit jeweils mindestens einem Boss, und es stehen vier Figuren mit unterschiedlichen Moves zur Auswahl. Im Laufe des Spiels sammelt man einerseits Erfahrungspunkte um seinen Charakter aufzuleveln und zahlreiche neue Moves freizuschalten, andererseits von Gegnern fallengelassenes Geld, um in Geschäften Items und Upgrades zu kaufen. Es gibt geheime Levelabschnitte und Geschäfte, Cheatcodes, zufällige Begegnungen mit einem Bonus-Gegner, einen fünften freischaltbaren Charakter, einen Boss-Rush-Mode und sogar einen Zombie-Survival-Mode. Für 10 Euro bekommt man also einiges.

Überraschenderweise haben mehrere Leute in meinem Bekanntenkreis, die an sich genau in die Zielgruppe fallen, das Spiel nach Ausprobieren des Demos als langweilig abgetan. Dafür gibt es, glaube ich, zwei Gründe: Zum einen ist es eindeutig ein auf Ko-op zugeschnittenes Spiel, das alleine deutlich weniger Spaß macht. Dass es nur lokales und kein Online-Ko-op gibt, ist da wohl eines der gröberen Probleme des Spiels. Zum anderen macht der Anfang des Spiels wahrscheinlich insgesamt am wenigsten Spaß, weil man die Spielfiguren noch nicht aufgelevelt sind und daher nur eine sehr begrenzte Anzahl an Moves beherrschen. Das Demo hätte hier vielleicht besser daran getan, von vornherein ein paar Moves mehr freizuschalten.

Mein Ratschlag also: Ein bis drei Freunde einladen und ab ins Retro-Paradies. Und danach die Bücher kaufen.

[ad]