Die besten Spiele des Jahres… für Retrofans: Edition 2010

Wie schon letztes Jahr möchte ich heute an dieser Stelle eine etwas andere GOTY-Liste präsentieren. Red Dead Redemption, Mass Effect 2, Bayonetta und Co. mögen ja schön und gut sein, aber was gab es dieses Jahr eigentlich für Polygon-Hasser und Sprite-Liebhaber, für Freunde von Pixel Art und Chiptunes, für ewiggestrige Nostalgiker und Retrofanatiker? Hier sind ein paar spielenswerte Vorschläge in keiner bestimmten Reihenfolge.

Ninja Senki
Für Freunde des: Game Boy Color, NES
Plattform: Windows
Preis: Gratis
Download: Homepage

Ninja Senki

Eine vorbildliche Übung in Minimalismus und Fokus ist dieser Freeware-Plattformer von Jonathan Lavigne. Lavigne ist einer der Entwickler von Ubisofts Scott Pilgrim Vs. The World: The Game, geht aber hier trotz des offensichtlichen Retro-Bezugs in eine designphilosophisch sehr andere Richtung. Bemerkenswert ist die Nutzung der Game Boy Color-Auflösung, nach den Worten des Entwicklers um sich selbst noch stärker zu beschränken. Wer schon „Ausrede für Faulheit!“ brüllen will, soll erstmal alle 16 langen Levels durchspielen, und dann zurückkommen.

VVVVVV
Für Freunde des: Spectrum, C64
Plattform: Windows, Mac OS X
Preis: 5 Euro
Download: Homepage, Steam

Wenn wir schon beim Thema Minimalismus sind: Terry Cavanaghs VVVVVV hat nur drei Knöpfe: links, rechts, Gravitation umschalten. So steuern wir den tapferen Captain Viridian durch ein Metroidvania-artiges Labyrinth voller tödlicher Hindernisse, die er umgeht, indem er abwechselnd am Boden, dann wieder an der Decke läuft. Das erfordert zumeist blitzschnelle Reflexe und perfektes Timing, ist aber dank Checkpoints auf so gut wie jedem Bildschirm nie frustrierend. Als zusätzliche Motivation gibt es einen der besten Chiptune-Soundtracks EVAR.

Digital: A Love Story
Für Freunde des: Amiga
Plattform: Windows, Mac OS X, Linux
Preis: Gratis
Download: Homepage

Bei Digital handelt es sich um ein Werk aus dem Genre-Dunstkreis Visual Novel/Interactive Fiction/Hyperfiction/Adventure, das als Oberfläche ein GUI namens Amie Workbench benutzt und auf dem Titelbildschirm steif und fest das Erscheinungsjahr 1988 behauptet. In Wirklichkeit wurde es im April dieses Jahres von einer Entwicklerin namens Christine Love veröffentlicht und funktioniert als eine Art Alternate Reality Game in dem Interface und Spiel eins werden – ähnlich Introversions Uplink (auch Vergleiche mit dem C64-Titel Portal von 1986 habe ich immer wieder gelesen) . Man loggt sich in BBS-Mailboxen ein, liest und verschickt Nachrichten, lädt Programme herunter und hackt Netzwerke. Im Gegensatz zu Uplink liegt der Fokus aber hier, wie der Untertitel A Love Story schon andeutet, auf der – tatsächlich sehr guten – Geschichte; das Gameplay wird nie besonders herausfordernd und steht immer klar im Dienst der faszinierenden und teilweise berührenden Erzählung.

Super Mario Bros. X: The Invasion 2
Für Freunde des: NES, SNES
Plattform: Windows
Preis: Gratis
Download: Homepage

Über die Awesomeness von Super Mario Bros. X habe ich hier schon einmal geschrieben. Es handelt sich um eine Engine mit einem simplen und flexiblen Leveleditor, der das kinderleichte Zusammenstellen eigener Mario-Spiele am PC ermöglicht. Die vom Entwickler Andrew Spinks in der aktuellen Version 1.3 mitgelieferte Demo-Kampagne nennt sich The Invasion 2. Sie ist über 50 Levels lang, vereint Elemente aus allen Mario-Teilen von Super Mario Bros. bis Super Mario World und ist das mit Abstand am besten designte Mario-Fangame, das ich je gespielt habe.

Scott Pilgrim Vs. The World: The Game
Für Freunde des: Arcadeprüglers
Plattform: Xbox 360, Playstation 3
Preis: 10 Euro
Download: XBLA, PSN

Auch über diesen Titel habe ich hier bereits ausführlicher gesprochen. Wer einen oder mehrere Mitspieler findet und mit ein bisschen Grinding leben kann, findet ein für das Beat-Em-Up-Genre dank vieler Moves und Secrets relativ tiefgehendes Spiel, das auch visuell (Pixel Art von Paul Robertson) und akustisch (Sountrack von Anamanaguchi) mehr als zu überzeugen weiß.

Super Meat Boy
Für Freunde des: gepflegten Masochismus
Plattform: Windows
Preis: 14 Euro
Download: Steam

Super Meat Boy schlägt in eine ähnliche Kerbe wie VVVVVV: Gnadenlose, gut designte Plattform-Herausforderungen, die perfekte Reflexe voraussetzen, aber immer kurz und knackig bleiben und somit fast nie frustrierend werden. Was Super Meat Boy gegenüber VVVVVV in Sachen Stil fehlt, das macht es durch schieren Content wett: An allen Ecken und Enden gibt es etwas zu entdecken und neue Herausforderungen zu meistern, so zum Beispiel die geheimen Warp Zones, in denen der spirituelle Retro-Ansatz des Hauptspiels dann auch audiovisuell durchgezogen wird.

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Scott Pilgrim vs. The World: The Game – Oder: Mist, aus dem Ubisoft-Boykott wird wohl nix

Ich bin seit Jahren ein großer Fan der Scott Pilgrim-Comics. Die mittlerweile vollendete, sechsteilige Buchreihe ist ein unheimlich originelles, witziges und intelligentes Portrait einer Generation, für deren Vertreter Popkultur – im speziellen Videospielkultur – ein integraler Bestandteil ihres Lebens ist, und wie diese Tatsache ihre Perspektive auf das Leben beeinflusst – in positiver wie negativer Hinsicht.

Die Verflimung der Reihe von Edgar Wright ist vor einigen Tagen in den USA und einer Reihe anderer Länder angelaufen und bahnt sich so langsam ihren Weg durch die Kinos der Welt. An allerletzter Stelle im Release-Kalender steht der deutschsprachige Raum. Wir sollen bis zum 6. Jänner 2011 warten, was den Film hierzulande quasi zum Tode verurteilt und obendrein zeigt, wie erschreckend vorgestrig Teile der Filmindustrie immer noch denken.

Doch was hat das alles mit Retrogaming zu tun? Nun, zu allererst ist Scott Pilgrim stark in der 8-bit-Kultur verankert, nicht nur was Anspielungen oder ähnliches betrifft, sondern in seiner Ästhetik und Struktur: Die ganze Welt des Comics bzw. des Films funktioniert teilweise nach klassischen Videospielregeln – Bosskämpfe, Extraleben, Savepoints, Items, Level-Ups – die gewissermaßen metaphorisch auf das wahre Leben angewandt werden.

Zum anderen ist passend dazu und mit dem Release des Films einhergehend ein Scott Pilgrim-Videospiel von Ubisoft für PSN erschienen (in einigen Tagen wird es auch auf XBLA landen), das eine der schönsten Retrogaming-Homages der letzten Zeit darstellt. Es handelt sich um ein Beat-em-Up in der Tradition von Klassikern wie Final Fight, Streets of Rage, Double Dragon und River City Ransom und bietet nicht nur spielerisch, sondern auch grafisch und akustisch ein himmlisches Retro-Erlebnis sondergleichen. Für das Art Design zeichnet sich der für Pirate Baby’s Cabana Battle Street Fight 2006 bekannte Paul Robertson verantwortlich, was in wirklich fantastischer, farbenfroher und prächtig animierter Pixel Art resultiert. Der Soundtrack wird von Anamanaguchi beigesteuert, einer New Yorker Chiptune-Rockband, und schlägt in die selbe Kerbe: atemberaubend.

Das Gameplay bietet überraschende Tiefe sowohl für einen Brawler als auch erst recht für ein Tie-In-Lizenzspiel. Es gibt sieben große Levels mit jeweils mindestens einem Boss, und es stehen vier Figuren mit unterschiedlichen Moves zur Auswahl. Im Laufe des Spiels sammelt man einerseits Erfahrungspunkte um seinen Charakter aufzuleveln und zahlreiche neue Moves freizuschalten, andererseits von Gegnern fallengelassenes Geld, um in Geschäften Items und Upgrades zu kaufen. Es gibt geheime Levelabschnitte und Geschäfte, Cheatcodes, zufällige Begegnungen mit einem Bonus-Gegner, einen fünften freischaltbaren Charakter, einen Boss-Rush-Mode und sogar einen Zombie-Survival-Mode. Für 10 Euro bekommt man also einiges.

Überraschenderweise haben mehrere Leute in meinem Bekanntenkreis, die an sich genau in die Zielgruppe fallen, das Spiel nach Ausprobieren des Demos als langweilig abgetan. Dafür gibt es, glaube ich, zwei Gründe: Zum einen ist es eindeutig ein auf Ko-op zugeschnittenes Spiel, das alleine deutlich weniger Spaß macht. Dass es nur lokales und kein Online-Ko-op gibt, ist da wohl eines der gröberen Probleme des Spiels. Zum anderen macht der Anfang des Spiels wahrscheinlich insgesamt am wenigsten Spaß, weil man die Spielfiguren noch nicht aufgelevelt sind und daher nur eine sehr begrenzte Anzahl an Moves beherrschen. Das Demo hätte hier vielleicht besser daran getan, von vornherein ein paar Moves mehr freizuschalten.

Mein Ratschlag also: Ein bis drei Freunde einladen und ab ins Retro-Paradies. Und danach die Bücher kaufen.

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