It’s that time of the year again

Wieder einmal möchte ich darauf aufmerksam machen, dass seit gestern – mittlerweile zum 16. Mal – die jährliche Interactive Fiction Competition im Gange ist, die spannendste Zeit des Jahres für Freunde von Interactive Fiction und Text-Adventures. 25 Titel sind es, die diesmal an dem Wettbewerb für kurze IF-Werke teilnehmen, und sechs Wochen lang haben die Juroren Zeit ihre Bewertungen einzureichen.

Neu ist dieses Jahr die Möglichkeit, den Großteil der Programme (22 der 25) mit einem Mausklick im Browser ausführen zu können. Mittels Bookmarks kann auch der Spielstand gespeichert werden. Es ist ein gutes Beispiel für die Bemühungen der IF-Community, die Hemmschwelle für eine Beschäftigung mit IF weiter und weiter zu senken.

Bei einem ersten Blick über die Liste der Titel sind mir persönlich keine großen Überraschungen oder alte Bekannte aufgefallen (die meisten bekannten Autoren nehmen an Wettbewerben wie diesen sowieso mit Pseudonym teil) – abgesehen von einer Ausnahme: The 12:54 to Asgard von J. Robinson Wheeler.

Am bekanntesten ist Wheeler wahrscheinlich für das an den Film Being John Malkovich angelehnte Being Andrew Plotkin aus dem Jahr 2001, aber bereits 1998 hat er eines meiner liebsten IF-Werke geschrieben: Four In One, eine brillante Hommage an die Marx Brothers. Als großen Liebhaber der Komikertruppe hat es mich sowieso sofort angesprochen, aber auch vom Spieldesign her war es ein unheimlich gutes, kniffliges und cleveres Werk. The 12:54 to Asgard wird also gewiss der erste Comp-Titel sein, den ich mir ansehen werde.

Wie immer wird es auch haufenweise Erfahrungsberichte und Reviews in der Blogosphäre geben. So hat etwa die bekannte IF-Autorin und -Theoretikerin Emily Short war bereits jetzt fünf Reviews geschrieben. Ein guter Sammelpunkt für derartige Artikel ist übrigens die Seite Planet-IF, deren Feed sich aus den wichtigsten Blogs der IF-Szene speist.

Aber am meisten Spaß macht es sowieso, einfach blind ins kalte Wasser zu springen. Das ist das, was die IF-Comp ausmacht: die Möglichkeit, sich auf eine spannende Entdeckungsreise ins Land der modernen Interactive Fiction zu begeben.

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Es ist IF-Comp-Zeit!

Man bekommt immer wieder einmal das Gerücht zu hören, Textadventures und Interactive Fiction im Allgemeinen seien tot; in den Siebzigern und Achtzigern wären Spiele, die ausschließlich aus Text bestanden eine aus heutiger Sicht geradezu lächerliche Notlösung gewesen, um die begrenzten Grafikfähigkeiten damaliger Computer zu umgehen, und als besagte Grafikfähigkeiten Anfang der Neunziger gut genug wurden, sei Interactive Fiction somit obsolet geworden und ausgestorben. (Eine durch und durch logische Argumentationslinie, wenn man bedenkt, dass schließlich auch Bücher vom Erdboden verschwunden sind, als der Farbfilm eingeführt wurde.)

Ironischerweise hört man aus der gleichen Richtung oft Jammereien, dass sich Spiele als Kunstform nicht genug weiterentwickeln, dass es doch immer nur um Schiessen und Töten gehe, und dass die Spieleindustrie zu kommerziell geworden sei. Tja, es würde eben helfen, wenn der eigene Horizont über das, was auf der Xbox 360, der Wii und der PS3 erscheint, hinausginge. Einige der spannendsten Entwicklungen und Innovationen in Sachen Gamedesign finden laufend quasi unter dem selbstgewählten Ausschluss einer ignoranten Öffentlichkeit statt – in der hochlebendigen Interactive Fiction-Szene.

Und diese Szene ist kein Ort halbherziger Infocom-Retro-Nostalgie, hier wird wirklich von teils großartigen Künstlern an der steten Evolution des Mediums gearbeitet, inklusive neuer Technologien und theoretischer Auseinandersetzungen. Die Infocom-, Level 9- und Magnetic Scrolls-Klassiker der 80er-Jahre würden den heutigen Standards bei weitem nicht mehr genügen.

Es gibt auch keine praktische Entschuldigung, diese Spiele zu ignorieren: Sie laufen auf so gut wie jeder Plattform und sind fast durchgehend Freeware. Sogar das eigene Verfassen von IF ist dank der genialen Programmiersprache Inform 7, deren „Code“ aus natürlichen englischen Sätzen besteht, kinderleicht geworden. Einzige mögliche Hürde: Gute Englischkenntnisse sind Voraussetzung für die ernsthafte Beschäftigung mit IF (obwohl es natürlich auch das ein oder andere deutschsprachige Werk gibt).

Gerade 2009 war ein tolles Jahr mit einigen hochkarätigen Titeln (Blue Lacuna, Alabaster, Make It Good, The King of Shreds and Patches), aber der Grund, warum ich gerade jetzt auf das Thema zu sprechen komme, ist, dass mit 1. Oktober die offizielle Wettbewerbsphase der fünfzehnten jährlichen Interactive Fiction Competition begonnen hat. Für IF-Fans vielleicht die spannendste Zeit des Jahres, sozusagen das Pendant zum Cannes Filmfestival. Auf der Homepage können die dieses Jahr 24 Wettbewerbstitel heruntergeladen (und, wenn man angemeldet ist und mindestens fünf Einträge gespielt hat, bewertet) werden; die Voting-Ergebnisse werden am 16. November bekanntgegeben.

Die IF-Comp wurde das erste Mal 1995 abgehalten und ist seitdem ein Garant für hochinteressante Werke, die noch dazu meistens von angenehm knackiger Kürze sind, da eine Regel besagt, dass nur der Eindruck gewertet werden darf, den man aus den ersten zwei Stunden des Spiels gewonnen hat. Apropos gewonnen: Gewinner vergangener Jahre beinhalten Adam Cadres Photopia, Star Fosters und Daniel Ravipintos Slouching Towards Bedlam, Jason Devlins Vespers, Admiral Jotas Lost Pig und letztes Jahr Jeremy Freeses Violet.

Bis jetzt habe ich erst zwei Einträge der diesjährigen Comp gespielt, aber ich habe bereits einen ersten Favoriten: Broken Legs von Sarah Morayati, in dem man eine verzogene, ehrgeizige 18-Jährige spielt, die eine Karriere als Musical-Darstellerin anstrebt und sich beim Vorsingen für ein renommiertes Konservatorium mit ebenso zickigen Konkurrentinnen herumzuärgern hat. Ich bin noch nicht sehr weit gekommen, aber das Ganze ist so herrlich und liebevoll geschrieben, dass es bereits Spaß macht, einfach die Spielwelt zu erforschen und sich mit den NPCs zu unterhalten.

Und wie so oft denke ich mir: Gott, ich sollte viel öfter IF-Titel spielen. Bin ja mal gespannt, was die Comp noch für Überraschungen bereithält.

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