Zuletzt habe ich wieder einmal über Metal Gear Solid 3: Snake Eater nachgedacht. Ich mag das Spiel sehr, sowohl vom spielerischen als auch vom narrativen Standpunkt her, und heute möchte ich mal ausschließlich über den letzteren Aspekt sprechen. Wer Snake Eater also noch nicht gespielt hat, für den sei hier eine dezente Spoiler-Warnung ausgesprochen.
Es handelt sich bei diesem insgesamt fünften kanonischen Teil der Metal Gear-Reihe ja bekanntermaßen um ein Prequel, das Jahrzehnte vor den Ereignissen der chronologisch späteren Folgen spielt. Das hilft dem Spiel zum einen, als eigenständige, charakterbasierte Geschichte zu funktionieren, da es so vom Ballast des überladen-komplizierten Kanons der Serie befreit ist. Zum anderen will es, genau wie die Star Wars-Prequels, vor allem eines erreichen: uns die Motivation der zentralen Figur der Saga (in beiden Fällen der Vater der späteren Hauptfigur) und ihre Wandlung vom Held zum Bösewicht begreiflich machen. In Star Wars wird aus Anakin Skywalker Darth Vader, in Snake Eater wird aus Naked Snake Big Boss. Wo George Lucas allerdings spektakulär scheitert, triumphiert Hideo Kojima: Am Ende verstehen wir.
Natürlich, gerade die allerletzte Szene von Snake Eater ist wohl pathetischer und kitschiger als alle Leni Riefenstahl-Filme zusammen, und auch das Vokabular geht eher in die Richtung militärisch-nationalistischer Propagandafilme, aber sie funktioniert trotzdem. Sie hat, anders als Darth Vaders berüchtigtes „NOOOOOOOOOOOO!!!“, echte emotionale Wucht.
Woran liegt das? Nun, zum einen hat es damit zu tun, das sich Metal Gear per se durch Over-the-Topness auszeichnet. Das gehört einfach dazu, ist Teil des Charmes. Ich meine, wir reden hier vom selben Spiel, in dem man gegen einen über hundert Jahre alten, photosynthetischen Scharfschützen mit Schlafstörung kämpft. Oder gegen einen atomwaffenverschießenden Roboter-Dinosaurier, gesteuert von einem verrückten, homosexuellen General, der Elektrizität aus seinen Fingern schießen kann.
Es ist Trash, aber – und das ist der wahre Unterschied zu den Star Wars-Prequels – so wie er sein muss: Trash, hinter dem wahre Genialität und vor allem Ehrlichkeit steckt. Man spürt, dass Hideo Kojima seine verrückte Saga wirklich am Herzen liegt. Er investiert echte Liebe in die Ausformung seiner Figuren, und das zahlt sich aus: The Boss ist eine der faszinierendsten Videospielcharaktere überhaupt, und Snakes Beziehung zu ihr wirkt echt. Wenn man schließlich am Ende des letzen Kampfes mit ihr gezwungen ist, den Abzug zu drücken, dann ist das ein starker, nahegehender Moment, und wenn das Spiel vorbei ist, ist Big Boss für uns kein einfacher Bösewicht mehr, sondern eine Figur, mit der wir uns identifizieren, deren Gefühle wir verstehen können.
Den Anakin Skywalker der Star Wars-Prequels hingegen muss man eigentlich komplett aus seinem Gedächtnis verbannen, wenn man jemals wieder Respekt vor dem einst so ikonischen Finsterling Darth Vader haben will. Mitfühlen können wir schon gar nicht, weil es viel zu offensichtlich ist, dass alle Figuren der Prequel-Trilogie nur Mittel zum Zweck sind, nostalgischen Fans möglichst effektiv das Geld aus der Tasche zu ziehen. George Lucas versagt auf allen Ebenen: Er ist nicht nur ein furchtbarer Autor und Regisseur, er hat auch kein Herz.
Als Künstler, meine ich. Vielleicht ist er ja privat ein netter Kerl.
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