Die Mario-Magie

Es ist ein wenig surreal, ein brandneues 2D-Mario-Jump&Run auf einer Heimkonsole zu spielen, fast zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Super Mario World. Surreal, aber wundervoll. Als ob ein guter alter Jugendfreund sich plötzlich wieder meldet. Als ob ein Stück Kindheit plötzlich in die Gegenwart schwappt. Vor allem, weil es so unerwartet ist. Als New Super Mario Bros. Wii zum ersten Mal auf der E3 gezeigt wurde, war ich nicht besonders beeindruckt. „Sie wärmen also den DS-Titel von 2005 wieder auf und hauen Multiplayer-Bullshit hinein“, dachte ich. „Was kümmert mich Multiplayer, erst recht einem Mario-Plattformer?“

Damit das klar ist, ich liebe New Super Mario Bros. auf dem DS, aber das Gleiche nochmal zu machen, aber mit Multiplayer, reizte mich so gar nicht. Ich sah mich nicht in der Zielgruppe. Erst kurz vor Release wurde klar, dass New Super Mario Bros. Wii ein vollwertiges Singleplayer-Spiel ist, und ein „echter“ Mario-Titel, noch dazu ein richtig guter. Und als ich es dann spielte, stellte ich mir zum hundersten Mal die Frage: Wie macht Nintendo das? Warum macht das soviel Freude? Und woher diese Nostalgie, eigentlich war ich doch ein Sega-Kind! Beinhalten Mario-Jump&Runs eine geheime, audiovisuell wirkende Droge, die zur Ausschüttung von Glückshormonen führt? Ist Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto nicht von dieser Welt?

Alles Quatsch natürlich. Beinahe jeder von uns kennt das Gefühl, wenn nicht auf Mario bezogen, dann vielleicht beim Hören der Mondscheinsonate, dem Ansehen eines Howard Hawks-Films, dem Lesen eines Rilke-Gedichts oder dem Betrachten eines Gemäldes von Cezanne. Es ist das Gefühl sich vollkommen in den Händen virtuoser Künstler zu befinden, die ihr Handwerk perfekt verstehen und durch ihre Werke die Kunstform an sich zelebrieren. Und ich verwende den Begriff „Handwerk“ hier bewusst, denn Miyamoto ist kein verrücktes Genie, der seine Ideen aus exzessiven Drogentrips bezieht. Er arbeitet logisch und sorgfältig, immer versucht, für jedes Problem die praktischste und simpelste Lösung zu finden.

Das beginnt schon bei Marios Charakterdesign, das Miyamoto – wie wir (hoffentlich) alle wissen – in seinem ersten eigenen Spiel Donkey Kong entwarf. Ursprünglich sollte Donkey Kong auf den Popeye-Cartoons basieren, doch aus lizenzrechtlichen Gründen musste Miyamoto schließlich eigene Figuren kreieren: Aus Bluto wurde Donkey Kong, aus Olivia wurde Lady (später Pauline) und aus Popeye wurde Jumpman (der im Nachfolger Donkey Kong Jr. auf Mario umgetauft wurde). Schon in Donkey Kong verfügte Jumpman/Mario über den Großteil seiner optischen Merkmale: kleine, rundliche Statur, dicke Nase mit Schnurbart, roter Overall mit Kappe, weiße Handschuhe. All diese Merkmale waren praktisch begründet, denn eine halbwegs ansprechende und interessante Figur aus so wenigen Pixeln zu entwerfen ist keine leichte Aufgabe. Durch den Schnurrbart sparte man sich den Mund, durch die Kappe die Haare, und um eine Bewegung der Arme beim Laufen sichtbar zumachen, mussten sie eine andere Farbe haben als der Körper – deshalb der Overall.

Es gibt in einem Mario-Spiel nichts, was aus Zufall oder Willkür entstanden ist. Sogar Koji Kondos ikonische Musik in Super Mario Bros. ist bewusst mit den Soundeffekten des Spiels harmonisiert. Und der Anfang des ersten Levels fungiert kaum merklich als völlig non-verbales Tutorial für Erstspieler, allein durch die Positionierung der Gegner, Blöcke und Power-Ups. Diese Dinge sind es, die Videospiele als eigenständige Kunstform ausmachen – nicht die „Hollywood“-Qualität der Cutscenes.

Und wer mir jetzt kommt mit „Ich fand Great Giana Sisters besser“, der kriegt eine hinter die Ohren!

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