Die mühsame Reise des verwunschenen Königs

Ich bin so retro, bis vor einigen Wochen war meine aktuellste Heimkonsole ein SNES. Aber Weihnachten 2009 hat sich das geändert – nun bin ich offiziell vorne dabei. Am Puls der Zeit. In der Gegenwart angekommen. High-End. State-of-the-Art. Next-Gen. Ich bin jetzt Besitzer einer PlayStation 2.

Was?! Es gibt inzwischen SCHON WIEDER eine neue Konsolengeneration?! Ach, Mist.

Aber hey, auf der anderen Seite bedeutet das, dass die PS2 auf gewisse Weise retro ist, was bedeutet, dass ich mich an dieser Stelle über sie auslassen kann. Vor allem, da ich vorhabe, eine ganze Menge Klassiker der letzten (fast zehn) Jahre, die ich bisher verpasst habe, nachzuholen.

Momentan stecke ich gerade mitten in einem dieser Klassiker, dem noch dazu ein starker Sinn von „retro“ geradezu inhärent ist: Dragon Quest VIII – The Journey of the Cursed King (oder, wie bei das Spiel bei uns heißt: Dragon Quest – Die Reise des verwunschenen Königs, ganz ohne Nummer im Titel). Dragon Quest – in Japan die erfolgreichste RPG-Serie überhaupt – hat schon immer auf Traditionen und Altbekanntes gesetzt, und so spielt sich auch der achte Teil nicht großartig anders als seine Vorgänger auf dem NES, dem SNES und der PS1. Dragon Quest VIII ist im Grunde ein 16-Bit-PRG in neuem Gewand. Aber dieses Gewand kann sich sehen lassen: Charaktermodelle, die dank Cel-Shading aussehen wie direkt einem Anime entsprungen, wunderbar farbenfrohes Art Design und eine prächtige Spielwelt, in der man das Land bis zum Horizont überblicken kann, machen das Spiel nicht nur zum mit Abstand schönsten Teil der Dragon Quest-Serie, sondern zu einem der schönsten PS2-Spiele überhaupt.

Das ist der Hauptgrund, warum ich jetzt schon über 40 Stunden mit Dragon Quest VIII verbracht habe: Die Spielwelt. Nicht nur, weil sie visuell einladend ist, sondern auch weil sie den klassischen, liebenswerten Dragon Quest-Charme besitzt. Das Gameplay, auf der anderen Seite, hat so seine Probleme.

Die logische Antwort auf diese Behauptung wäre: „Aber es ist Dragon Quest! Das Gameplay ist in jedem Teil im Grunde das gleiche! Was zum Teufel soll also speziell hier nicht stimmen?“ Die Antwort ist ziemlich einfach. Die (stets rundenbasierten) Kämpfe in Dragon Quest waren immer dadurch charakterisiert, dass sie schnell, simpel, kurz und schmerzlos sind. Minutenlange Beschwörungssequenzen und Zauberanimationen wie in Final Fantasy gab es nie, so dass die große Anzahl der Kämpfe so gut wie nie zu einer Belastung wurde. In Dragon Quest VIII jedoch ist jeder einzelne Kampf langsam und mühsam, was an zwei Dingen liegt: detaillierte Animationen bei jeder Aktion und Ladezeiten nach jedem Kampf. Jep, die visuelle Pracht hat ihren Preis. Dazu kommt die hohe Frequenz an Random Encounters, was das Spiel stellenweise zu einer schleppenden Tortur macht. Auf der einen Seite wird mir eine große, offene Welt vorgesetzt, die dazu einlädt, jeden Winkel zu erforschen, auf der anderen Seite kann ich keine zehn Schritte gehen ohne von eine mühsamen Kampfsequenz durchspielen zu müssen. Eine kurze Illustration:

Hey, mal kurz schauen, was hinter diesem Hügel… MIST! Okay, fünf Gegner greifen mich an. „The monsters have the first strike!“ Okay, die Hälfte meiner Partymitglieder ist paralysiert, die andere vergiftet. Heilen, attackieren, attackieren, heilen. Attackiert werden, attackiert werden, nochmal vergiftet werden, attackiert werden. In anderen Worten, tausendmal gesehenen Animationen zusehen. Heilen, attackieren, attackieren, alle Gegner besiegt. Toll, 200 Erfahrungspunkte und 80 Goldstücke. Das hätte ich vor 15 Leveln sicher lohnend gefunden. Fünf Sekunden Ladezeit. Okay, zurück auf der Weltkarte. Ins Menü gehen („Now Loading…“), Party heilen, raus aus dem Menü („Now Loading…“). Jetzt wegen diesem Hügel… ARGH, schon wieder ein Kampf!! Und so weiter und so fort.

Ich bin sowieso kein Freund von Random Encounters – eine Spielmechanik, die spätestens seit 1995 (das Jahr, in dem Chrono Trigger und Earthbound erschienen) keinen Grund mehr hat überhaupt zu existieren – aber ich kann mit ihnen leben, wenn die Kämpfe schnell sind und Spaß machen oder zumindest herausfordernd und lohnend sind. In Dragon Quest VIII sind sie die meiste Zeit einfach nur mühsame, zähe Routine.

Aber um ehrlich zu sein, insgesamt mag ich das Spiel, trotz seiner nicht zu übersehenden Schwächen. Und ich war sehr froh darüber zu sehen, dass der Nachfolger Dragon Quest IX diese Schwächen auszubügeln scheint. Nicht nur haben die Kämpfe wieder an Tempo zugenommen, es gibt nicht einmal mehr Random Encounters. Es wird wirklich Zeit, dass das vedammte Ding im Westen erscheint.

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Die Spiele des Jahres …für Retrofans

Das war es also im Wesentlichen mit 2009. Kein wahnsinnig tolles oder interessantes Jahr für Videospiele, wenn man sich so die verschiedenen Toplisten ansieht, die Leute aufgestellt haben. Borderlands, Modern Warfare 2, Batman: Arkham Asylum, Uncharted 2? Ich schlaf gleich ein. Für Freunde von Retrovideospielen allerdings sieht die Sache besser aus. Hier ein paar der wichtigsten Highlights des Jahres, die speziell auf uns alte Leute zugeschnitten wurden.

5. A Boy And His Blob

Dieses wunderschöne, handgezeichnete 2D-Jump&Run für die Wii ist ein Remake des gleichnamigen NES-Spiels aus dem Jahr 1989. Der „Boy“ kann seinen „Blob“ in verschiedenste Objekte verwandeln, mit denen allerhand Rätsel gelöst und Gegner und Bosse besiegt werden müssen. Das Spiel sieht dabei nicht nur besser aus, sondern ist auch besser und fairer designt. Und die Tatsache, dass es einen eigenen „Umarm“-Button gibt, ist etwas, dass sich andere Spieleentwickler zu Herzen nehmen sollten. Ich meine, wie viel besser wäre Killzone 2 mit einem „Umarm“-Button!

4. The Whispered World

Wo wir schon bei „wunderschön“ und „handgezeichnet“ sind, sollten wir über The Whispered World sprechen, eine klassisches Point&Click-Adventure des deutschen Herstellers Daedalic (verantwortlich für Edna bricht aus). The Whispered World ist originell, melancholisch, kunstvoll, intelligent, emotional – all die Dinge, die man in Videospielen viel zu selten zu sehen bekommt; und gleichzeitig ist es eine Hommage an alte LucasArts-Adventures, so funktioniert die Steuerung über eine verb coin wie in Full Throttle oder The Curse of Monkey Island, und es gibt sogar einen wunderbar anachronistischen Kopierschutz, der nicht über drakonisches DRM, sondern über in der Verpackung mitgelieferte Runenwürfel funktioniert, ähnlich den Drehscheiben der ersten beiden Monkey Island-Teile.

3. Dragon Quest V: Die Hand der Himmelsbraut

Wir alle wissen, dass das Super Nintendo einige der besten RPGs aller Zeiten zu bieten hatte, drei im Besonderen: Final Fantasy VI, Chrono Trigger und Earthbound. Allerdings fehlt in dieser Reihe eines, schlicht aus dem Grund, weil es leider nie auf dem SNES erschienen ist, sondern nur auf dessem japanischen Bruder, dem Super Famicom. Es handelt sich um Dragon Quest V, einen der absoluten Höhepunkte der Dragon Quest-Serie, sowohl was Story (die Geschichte des Protagonisten erstreckt sich über sein ganzes Leben) als auch was Gameplay betrifft (süchtigmachende Monster-Rekrutierung!). Aber nun ist es zum Glück auch hier erhältlich, in Form eines exzellenten Remakes für den DS.

2. New Super Mario Bros. Wii

Tja, was soll ich dazu noch sagen, was ich nicht schon hier gesagt habe. Es ist das erste 2D-Mario-Jump&Run auf einer Heimkonsole seit fast zwanzig Jahren, es hat gewohnt tolles Leveldesign, es macht sowohl allein als auch zu zweit, zu dritt oder zu viert Riesenspaß. Okay, es bringt die Serie nicht wahnsinnig vorwärts und die Grafik ist vielleicht eine Spur zu blass und steril, aber das ist spätestens dann vergessen, wenn man mit einem Schildkrötenpanzer fünf Gegner vom Bildschirm fegt und einen Mitspieler von seinem Yoshi wirft, das man ihm daraufhin klaut, ihn damit frisst und in eine Grube spuckt.

1. Retro Game Challenge

Retro Game Challenge ist nicht nur DAS Spiel für Retrofans des Jahres 2009, sondern DAS Spiel für Retrofans PUNKT. Es simuliert die Erfahrung, ein videospielbegeistertes Kind in den 80ern zu sein, das regelmäßig mit seinem besten Freund spielend auf dem Boden vor dem Fernseher sitzt, das neueste Spiel ausprobiert und Magazine nach Previews, Tips und Cheats durchforstet. In diesem Rahmen enthält Retro Game Challenge acht Spiele, die ohne weiteres auf dem Famicom oder NES erschienen sein könnten, es aber nicht sind – alle sind von Grund auf neu programmiert. Sie sehen aus, klingen und spielen sich wie Spiele aus den 80ern, gleichzeitig spürt man aber den 2009er-Horizont was Designerfahrung betrifft – ähnlich wie in Mega Man 9. Es gibt Shoot-‚em-ups, Rennspiele, Arcade-Plattformer und sogar ein vollwertiges RPG im Dragon Quest-Stil. Retro Game Challenge ist einfach mit unglaublich viel Liebe und Sorgfalt gemacht und für jeden Retrofan schlicht unverzichtbar. Die schlechten Nachrichten: In Europa ist es nicht erschienen, man muss also an ein US-Exemplar kommen, und – noch bitterer – der zweite Teil ist in Japan längst draußen, es sieht jedoch im Moment nicht so aus, als ob er für den Westen lokalisiert werden würde.

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